Im Jahr 1934 forderte das Reichsluftfahrtministerium alle großen Automobilfabriken im Reich dazu auf, die Produktion von Flugzeugmotoren zu beginnen. Auch die
Braunschweigische Büssing-NAG Vereinigte Nutzkraftwagen AG kam nach längerem Zögern dieser Aufforderung nach. Dazu wurde am 7. Juni 1935 die selbständige
Tochtergesellschaft Niedersächsische Motorenwerke als Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Braunschweig gegründet. Im Laufe ihrer
Existenz wurde sie mehrfach umbenannt: Anfang 1941 in Büssing-NAG Niedersächsische Motorenwerke, Ende 1941 in Büssing-NAG Flugmotorenwerke
und nach dem Krieg wurde schließlich wieder der Gründungsname verwendet.
Die Gründung verlief nicht ohne Schwierigkeiten: Es mangelte vor allem an Arbeitskräften, Raum und Kapital. Letzteres konnte durch einen Bankkredit, für den das Reich
bürgte, behoben werden. Der Raummangel wurde beseitigt, in dem ein 52 Hektar großes Areal im Querumer Forst für die Bauarbeiten bereitgestellt wurde. Bereits Mitte
1936 konnte die Produktion aufgenommen und Ende desselben Jahres wurden bereits die ersten Motoren geliefert. In den Folgejahren wurde das Werk in einer zweiten
Ausbaustufe erheblich erweitert. Auch die Belegschaft wuchs rasch an. Waren anfangs neben fünf leitenden Angestellten noch etwa 20 Facharbeiter beschäftigt, so konnten
Ende 1936 bereits 1600 und zu Kriegsbeginn 1939 etwa 3200 Mitarbeiter gezählt werden. Für die Unterbringung der Arbeiter der Niemo, aber auch für die ebenfalls im Norden
Braunschweigs ansässigen Luther-Werke und Luther & Jordan GmbH, wurde 1937 die Schunter-Siedlung errichtet. Bauträger war die Braunschweiger Baugenossenschaft, die
hier 930 Wohnungen errichtete, von denen die Hälfte für die Niemo bestimmt war.
In den Jahren bis zum Kriegsbeginn wurden in Lizenz Flugmotoren von BMW (BMW 6 12-Zylinder-V-Motor mit 750 PS) gebaut. Die Belegschaft wurde dazu
eigens nach München zu Schulungen geschickt; in der Anfangsphase waren auch Fachleute von BMW in Braunschweig anwesend. Bis zum Frühjahr 1938 wurden von diesem Typ 701 Stück
hergestellt. Zwischenzeitlich begann man, die Produktion auf die neuentwickelten und überlegenen Motoren von Daimler-Benz umzustellen, da die hohe Nachfrage nach
diesen Aggregaten nicht mehr allein von Daimler-Benz befriedigt werden konnte. Die Produktion erreichte im September 1939 die geforderte Zahl von 60 Motoren im Monat.
Von 3700 im Jahr 1939 gelieferten Motoren stammten 270 bereits von der Niemo aus Querum. Die Produktion wuchs in den Folgejahren rasch an und betrug in der Spitze 1944
6037 Stück. Produziert wurden die Baumuster:
- DB 601 N (Benzin-Einspritzmotor mit 1175 PS, Bj. 1940)
- DB 601 E und F (Benzin-Einspritzmotor mit 1350 PS, Bj. 1940)
- DB 605 A bis F (Weiterentwicklungen des DB 601 E mit 1475 PS und 1435 PS)
- DB 606 A und B (Doppelmotor DB 601 E bis G mit je 2700 PS)
Kriegsereignisse
Während des Krieges wurden die deutschen Arbeiter zunehmens an die Front beordert und der entstehende Arbeitskräftemangel durch Fremdarbeiter und Kriegsgefangene u.a. aus der Sowjetunion, Polen, Italien, den Niederlanden, Frankreich, Jugoslawien, Belgien und der Tschechoslowakei ausgeglichen.Die Gefolgschaftsmeldung von Ende April 1944 zählt insgesamt 4582 Ausländer auf, darunter 1227 Frauen in der Fertigung. Diese Arbeiter waren in Barackenlagern in der Umgebung der Niemo untergebracht (Lager Steinriede, Rohrfeld, Schuntersiedlung, Rühmerberg, Wabenkamp). Die hohe Zahl der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen beruht auch darauf, dass sie zahlreich einfache Maschinentätigkeiten und Handlangerdienste leisten mussten.
Im Verlauf des Krieges nahmen die Luftangriffe auf die Städte und Industrien im Reichsgebiet immer mehr zu. Braunschweig war mit seinen Industrien, Forschungsanstalten und
Militäreinrichtungen in dieser Hinsicht ein attraktives Ziel und war schon 1940 in die Liste der Städte aufgenommen worden, die ein umfassendes Bunkerbauprogramm
erhielten. Insgesamt wurde dem Luftschutz schon seit Mitte der 1930er verstärkte Aufmerksamkeit zuteil und so waren auch bei der Niemo fast alle Hallen, das Verwaltungsgebäude
und das Kameradschaftsheim mit Luftschutzräumen versehen. Für einige wenige deutsche Arbeiter der Niemo war auch Platz im benachbarten Bunker Kralenriede reserviert.
Noch heute weisen Wandbeschriftungen darauf hin, dass Personen aus der Felmy-Halle (benannt nach einem deutschen Fliegergeneral) nur das Erdgeschoss benutzen
dürfen. Die Nutzung des Bunkers war den Fremdarbeitern hingegen untersagt.
Besonders im Verlauf des Jahres 1944 trafen starke Luftangriffe auch die Niemo: am 21.2., 5.8., 24.8. und zuletzt 9.9. wurden die Werksanlagen getroffen. Und obwohl man
bereits beim Bau darauf geachtet hatte, die Hallen und Gebäude weit verstreut voneinander und somit vermeindlich sicherer vor Luftangriffen zu errichten, war die Substanz
des Werks nun zu rund zwei Dritteln zerstört oder zumindest stark beschädigt. Der Schaden wurde damals auf rund 12 Mio. Reichsmark geschätzt. Dabei konnten die meisten der
wertvollen Werkzeugmaschinen gerettet werden: Bis zum August 1944 hatte man bereits rund drei Viertel der Fertigungskapazitäten ausgelagert und dezentral auf 14 Orte
verteilt. Die größte und wichtigste Außenstelle war hierbei der Kalischacht Gerhardt bei Weferlingen. Hier allein waren etwa 800 Werkzeugmaschinen und etwa
4000 Beschäftigte. Weitere wichtige Auslagerungsstellen waren in Goslar (Reichsbauernhalle), Alfeld (Schuhleistenfabrik Behrens), Langelsheim und Lamspringe.
Am 12. April wird Braunschweig durch die einrückenden Amerikaner befreit. Unmittelbar nach Kriegsende bemüht man sich seitens der Niemo um die Rückführung der ausgelagerten
Maschinen, was z.T. auch unter großen Mühen gelingt. Die in der sowjetischen Besatzungszone liegenden Bestände gehen allerdings weitgehend verloren. Doch auch große Teile
der im Westen liegenden Maschinen und Einrichtungen werden im Oktober 1948 im Rahmen der Demontage von der britischen Militärregierung beschlagnahmt und nach Jugoslawien
weitergegeben. Die Produktionsgebäude auf dem Niemo-Gelände bleiben von der Demontage weitgehend verschont, lediglich die Prüfstände und kleinere Luftschutzanlagen werden
gesprengt (Bilder rechts).
Nach dem Krieg
Nach dem Ende des Krieges wird die Niemo von Büssing weitergeführt. Dies geschieht, um finanzielle Verpflichtungen zwischen dem Reich und der Firma abzuwickeln und die
gepachteten Teile des Areals in den eigenen Besitz zu überführen. Zudem werden in einer wenig beschädigten Halle Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten durchgeführt, so
dass bereits 1946 mit dem Wiederaufbau der Motorenproduktion begonnen werden kann. Die Halle muss dann allerdings 1947-49 an die Besatzungstruppen übergeben werden, die
dort mit ca. 150 Facharbeitern der Niemo eine Ausbesserungswerkstatt für die Schwerlastwagen des North German Timber Control (NGTC) betreibt. In
anderen Hallen, die sonst nicht nutzbar sind, werden große Getreidevorräte eingelagert.
1949 zieht die Karosseriefertigung des Büssing-Stammwerks auf das Gelände und die Produktion wird auf LKW umgestellt. In den 1950er Jahren hat die Niemo noch letzte
Verbindlichkeiten mit der Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches abzuwickeln. Die Forderungen seitens des Staates werden allerdings um 80%
gesenkt und durch Büssing beglichen. Die Niemo gehört damit zu Büssing und im Dezember 1959 wird auch das Vermögen der Niemo auf Grund des Gesetzes über die Umwandlung von
Kapitalgesellschaften auf die Firma Büssing Nutzkraftwagen GmbH (die NAG war bereits 1950 aus dem Konzern ausgeschieden) übertragen. Ein Vierteljahr
später, am 9.März 1960, wird die Niemo im Handelsregister des Amtsgerichts Braunschweig gelöscht.
Das Gelände und die Anlagen werden in den folgenden Jahren bis 1987 weiter durch die Büssing-Werke bzw. später MAN genutzt, bevor die Produktion vollständig nach Salzgitter
verlegt wird. Das Gelände am Bienroder Weg wird zunächst aufgelassen und im Jahr 1989 von der DIBAG Industriebau AG aus München erworben, eine der führenden deutschen
Projektentwicklungsgesellschaften. Dieser gelingt es, einen großen Versandhändler als Mieter der vier größten Hallen zu gewinnen. Jedoch bereits wenige Jahre später,
1993, endet dies - die Deutsche Einheit und mit ihr verbundene Fördergelder sorgen für den Umzug des Versandlagers nach Haldensleben. Das Gelände wurde danach zu einem
Gewerbepark (früher DIBAG-Gewerbepark, heute Gewerbepark Braunschweig Steinriedendamm) umgestaltet, in dem die einzelnen Gebäude und Teilflächen an unterschiedliche
Betriebe, Spediteure, Dienstleister und Existenzgründer vermietet sind.