Die Akademie für Jugendführung

Der Gebäudekomplex an der Wolfenbütteler Straße fällt sofort als Bau aus der Nazi-Zeit auf. Die äußere Gestaltung sollte den Vorgaben Hitlers nachkommen, der für Staatsbauten die Maxime ausgegeben hatte, “Monumente zu errichten, die in der Wirkung ihres Materials und ihrer Gestaltung gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern unmittelbar zu Herzen sprechen”. Die Reichsakademie war die höchste Schule der Hitlerjugend (HJ) und sollte dazu dienen, junge Männer für eine hauptberufliche Führerschaft in der HJ auszubilden.

Für den Bau wurden große Teile des Richmond-Parkes von der Stadt zur Verfügung gestellt. Am 24.1.1936 wurde der Grundstein für die Anlage gelegt, deren Architekt der damals bekannte Hamburger Erich zu Putlitz (1892-1945) war. Bereits im Juni 1938 wurde dann in Anwesenheit des “Reichsjugendführers” Baldur von Schirach das Richtfest gefeiert. In den darauf folgenden zwölf Monaten wurden die heute sichtbaren Teile des Komplexes fertiggestellt:
Das Hauptgebäude mit seinen drei Stockwerke hohen Säulen, welche die Ehrenhalle bilden (Gebäudehöhe: 22 Meter). Hier befinden sich die Haupteingänge zu den seitlichen Trakten. In diesen waren u.a. Hör- und Festsaal, ein Lesesaal für die Bibliothek mit ca. 27000 Bänden, Arbeitsräume, Küche, Speisezimmer, Lagerräume usw. untergebracht. Im südlichen Flügel befand sich zudem eine Dienstwohnung für den Reichsjugendführer mit vier Räumen auf rund 85 qm. Unter dem Festsaal im Südflügel wurde ein kleines Schwimmbad mit zwei 16,60-m-Bahnen eingerichtet.
Über den Eingangstüren symbolisierten die zwei Reliefgruppen “Ehre” und “Treue” des Bildhauers Emil Hipp (1893-1965) die “Kraft, Einigkeit und Zuversicht der national­sozialistischen Jugend” (Braunschweiger Neueste Nachrichten, 3.6.1938; vgl. Bilder rechts). Neben den Türen befanden sich in Steintafeln gehauen die Namen von ums Leben gekommenen Hitlerjungen, sowie der Weihespruch Baldur von Schirachs. Die Inschriften wurden nach dem Krieg entfernt. In der Mitte des Hauptgebäudes sollte auf dem Dach über der Ehrenhalle ein sieben Meter hohes Bronze­figurenpaar (zwei schreitende Jünglinge nach einem Entwurf von Emil Hipp) errichtet werden. Durch den Kriegsausbruch kam es dazu nicht mehr; der Verbleib der bereits gelieferten Figurenteile ist unklar.


Fertiggestellt wurden auch die fünf seitlichen Seminarhäuser, in denen die Lehrgangs­teilnehmer untergebracht wurden. Jedes der Gebäude hatte 14 Wohneinheiten mit etwa 11 Quadratmetern Grundfläche. Im Dachgeschoss befanden sich zudem vier “Führeranwärter­zimmer”, die etwas größer waren. Im westlichen Nebenhaus befand sich zudem eine kleine Vier-Zimmer-Wohnung für den Hausmeister.

Anfang 1939 wurde das Gebäude mit dem ersten Lehrgang von 100 HJ-Führern eingeweiht. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 wurden die weiteren Bauarbeiten eingestellt und die geplanten Bauten und Gelände­umgestaltungen nicht mehr ausgeführt (u.a. Sportplätze, Reithalle, Schießstand, Bootshaus). Auch der Lehrbetrieb wurde abgebrochen und ruhte vorübergehend. Von 1940 bis 1942 wurden Führerinnen des “Bund Deutscher Mädchen”-Werkes “Glaube und Schönheit” ausgebildet, danach dienten Gebäudeteile als Lazarett. Ab November 1942 wurden bis Kriegsende wieder Kriegsversehrte zu HJ-Führungskräften ausgebildet.
Die Gebäude der “Akademie für Jugendführung” überstanden den Krieg fast unbeschädigt, lediglich das westliche Seminarhaus erhielt einen Bombentreffer. Unmittelbar nach Kriegsende kam es jedoch zu Plünderungen, bei denen Mobiliar, Einrichtungsgegenstände, Bücher usw. entwendet wurden. Nach der Eroberung der Stadt durch die Amerikaner dienten die Gebäude auch kurzzeitig als Kriegsgefangenen­lager für Nationalsozialisten und Wehrmachts­angehörige.

Von 1949 bis 2001 beherbergten die Gebäude die Deutsche Müllerschule, die sich zuvor in Dippoldiswalde bei Dresden befand. Braunschweig bot sich für die einzige deutsche Fachschule, die Müllerei- und Mühlenbautechniker ausbildete, durch seine Großmühlen­betriebe als neuer Standort an. Später zog dort ebenfalls das Braunschweig-Kolleg ein, in dem Volks- und Realschüler nach abgeschlossener Berufsausbildung die Hochschulreife erwerben können. Im Rahmen dieser Nutzung wurden große Teile des Innenbereichs des Gebäudes renoviert.

Dieses nationalsozialistische Schulungszentrum sei hier nur exemplarisch genommen. Insgesamt hatte man in Braunschweig mehrere Institutionen angesiedelt, in denen der national­sozialistische Nachwuchs herangezogen werden sollte:

  • Das Residenzschloß wurde zur SS-Führerschule umgebaut (der einzigen neben Bad Tölz in Deutschland) und diente der Ausbildung der Offiziere der Totenkopfverbände.
  • An der Celler Straße befand sich in der ehemaligen Villa von Bülow eine Schule des Deutschen Handwerks (Bild).
  • Im Querumer Forst beherbergten zwei U-förmige Bauten (nach einem Entwurf des Braunschweiger Oberbaurats Hans Bernhard Reichow) die Gebietsführerschule »Peter Frieß« (Peter Frieß war ein Hitlerjunge, der 1933 bei Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern umgekommen war). Hier wurden die mittleren Führungskader der Hitlerjugend ausgebildet, konzipiert war die Anlage für etwa 130 Teilnehmer (Bild).
  • Zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel sollte zudem noch eine Reichsführerinnenschule des Bundes Deutscher Mädel nach Entwürfen von Emil Herzig entstehen. Die Gebäudefront des streng symmetrisch aufgebauten Komplexes hätte rund 600 Meter betragen (Bild des Modells). Mehr als die Vorarbeiten wurden hier jedoch nicht fertiggestellt.